Beobachtet man die mediale Berichterstattung so kommt man rasch zum Schluss: Digitalisierung ist das Thema der Stunde – und wird es wohl noch eine Weile bleiben. Das zeigt unter anderem das Ranking der stärksten Schweizer Marken (Markenstunde BrandAsset Valuator von Y&R Switzerland), das eben veröffentlicht worden ist: Erstmals befinden sich fünf digitale Brands in den Top 20.
Auch auf Bundesebene wird die Digitalisierung zurzeit ins Visier genommen: Der «Beirat Digitale Transformation» wurde soeben ins Leben gerufen, um die Chancen der Digitalisierung zu nutzen.
Aber was bedeutet die Digitalisierung nun für die Markt- und Medienforschung? Vor welchen Herausforderungen steht die Forschung angesichts der Digitalisierung in den verschiedenen Branchen? Im Rahmen der diesjährigen vsms-Impulsveranstaltung referierten der Blogger, Microblogger und Strategieberater Sascha Lobo und der Verantwortliche für das New Business Development in der Digital Business Unit der Swisscom Jürgen Ziehfreund.
Eins vorweg: Der Blogger Sascha Lobo brauchte nicht eine Fülle von komplizierten PowerPoint-Charts, sondern er schaffte es mit scharfer Zunge und mit treffenden Bildern das zu beschreiben, was er dem interessierten Publikum nahebringen wollte: Wir sind alle mehr oder weniger «bekloppte» Konsumenten, welche datenbegeistert sind und (nonstop) Datenströme produzieren. Daher der Appell an die Marktforscher von morgen – aber möglichst bald: Folgt den Konsumenten in Realtime, sonst läuft euch (und den Unternehmen) den Datenstrom davon.
Sascha Lobo betonte mittels treffenden Beispielen, wie einfach heute Datenströme zustande kommen und wie gross die Fülle ist. Vieles hat sich verändert, so hat sich auch eine digitale Ungeduld unter den Konsumenten breitgemacht: Wir sind heute beispielsweise nicht mehr willig, Tage auf einem Bank-Transfer zu warten, sondern das soll möglichst jetzt und sofort passieren. Die Künstliche Intelligenz «Artificial Intelligence AI» (übrigens heute auch in aller Munde) ist bereits Realität: Mustererkennung auf Speed, wie zum Beispiel ein Restaurant-Besuch via Mobile «begleitet» wird. Den Vortrag von Herr Logo lässt sich in Worte schlecht beschreiben, man muss ihn erlebt haben. Apropos Emotionen, noch eine Anekdote: Der Datenstrom führt irgendwann mal zum sogenannten «Grusel-Moment»: Wie weit kann die Digitalisierung gehen? Soweit, dass wir «Brain connected to Web» unser Restaurant aussuchen? Ja, gruselig. Und ehrlich gesagt, jeder Mensch empfindet diesen Grusel-Moment, doch (noch) kein Mensch gibt das offen zu.
Nun mag der Appel von Sascha Lobo an die Marktforscher von morgen für den Leser als eine banale Erkenntnis erscheinen: doch die Marktforschung nimmt oftmals eine eher passive, beobachtende Rolle ein; für Lobo fehlt die beratende Komponente. Dies sollte sich aber morgen – am besten heute schon – ändern, so auch die Sicht von Jürgen Ziehfreund von der Swisscom. Für die Swisscom ist es zentral, die Kundenbedürfnisse von heute und morgen zu verstehen. Der Markt habe sich verändert, wie zum Beispiel der Untergang von Kodak bedingt durch die Vernachlässigung der Digitalisierung.
Auch die Betrachtungsperspektive habe sich klar verändert: «Online war gestern, heute ist bereits Digital». Auch wenn die Swisscom in den letzten Jahren flache Finanzzahlen aufweist, die interne Entwicklung zeigt ein turbulentes Bild, wie z.B. der drastische Umsatzeinbruch von SMS und Festanschlüssen. Diese und weitere Entwicklungen liessen sich nur durch eine permanente Anpassung des Angebots aufhalten. Die Swisscom wie auch andere Firmen mussten sich wegen der Digitalisierung auf neue Gebiete spezialisieren. So wurde bei der Swisscom die Unit Digital Business gegründet, welche laufend Partnerschaften u.a. mit der Admeira, Siroop, etc. pflegt.
Was heisst das alles nun für die Marktforschung? Am Beispiel der App «localgusto», welches auf dem Testmarkt Luzern in Zusammenarbeit mit local.ch und Swisscom Directories AG lanciert wurde, wird deutlich, dass die Marktforschung zum «in-built»-Teil der Produktentwicklung wird. Methodisch wird aus Effizienzgründen weiterhin via Online-, Smartphone- und VOC Befragungen bevorzugt eingesetzt. Auch werden vermehrt qualitative Methoden wie persönliche Kundeninterviews eingesetzt um direktes Feedback einzuholen. Die streng repräsentativen Erhebungen werden mit gezielten fallbezogenen Stichproben von «interessierten Panels» ersetzt um die zunehmend schwierige Quotenerreichung zu umgehen. Ja, es sind viele Veränderungen die Swisscom anstrebt.
Es braucht heute nicht weniger Marktforschung, sondern eine andere Art der Forschung, so Ziehfreund. Die Marktforschung soll Kernbestandteil der Customer Experience werden: Über die Einbindung der Kunden bei Prototyping, Testing etc. können diese «iterativ in transversalen Teams» an der Produktentwicklung teilnehmen. Das heisst so gut wie die schrittweise Begleitung von Gesamtprojekten in bereichsübergreifenden Arbeitsgruppen. Kunden-Insights sind somit nicht mehr alleine Aufgabe der Marktforschung.
Nicht alle Entwicklungen und Zukunftsaussichten, die Ziehfreund in seinem aufschlussreichen Referat geäussert hat, gefielen dem Publikum, das grösstenteils seit vielen Jahren in der Marktforschung tätig ist. Als Ziehfreund die Aussage in den Raum stellte, dass «die richtig grossen Innovationen ab nun nicht mehr von der Marktforschung kommen werden», ging ein Raunen durch den Saal.
Beide Referate haben viele Inputs geliefert und zum Nachdenken angeregt. In einem waren sich beide Referenten einig: Den Marktforscher von morgen braucht es noch, nur wird die Rolle sich etwas verändern (müssen).