Markenführung durch den Dschungel von Konsum- und Kommunikationstrends
Die Wirtschaft der Europäischen Union wächst nur noch um ca. 1,5 Prozent. Marken, die sich erfolgreicher entwickeln wollen, müssen auf Trends setzen, die über den Werten der Gesamtwirtschaft liegen. Aber welche sind das? Wie relevant sind sie? In welcher Entwicklungsphase befinden sie sich und wie kann ich sie für meine Marke besetzen?
Wenn wir uns an die Diskussion um die Entwicklung unserer Wirtschaft zu Anfang des Jahrtausends erinnern, sprachen wir seinerzeit von vier überschaubaren, berechenbaren Trends: Demografie, Wohlstand, Ökologie und einsetzende Digitalisierung. Heute gibt es so viele Trends und Gegentrends wie nie zuvor. Schon sprechen Experten von einer „2. Gründerzeit“.
21 Megatrends haben wir aus der aktuellen öffentlichen Diskussion zusammengestellt, die mehr als 100 Folgetrends auslösen. Sie überschneiden, ergänzen, potenzieren sich oder sind gegenläufig – und das bei rapide wachsender Veränderungsdynamik. Es gibt keine Branche und kein Unternehmen, die davon nicht betroffen wären. Die Folgen sind Intransparenz, Verunsicherung, Kurzfristdenken und Investitionsabbau. Die Markenführung steht vor einer ihrer grössten Herausforderungen.
Zur besseren Übersicht unterscheiden wir nach Megatrends, die hauptsächlich Menschen betreffen oder Unternehmen beeinflussen oder die technologische Entwicklung bestimmen.
In der öffentlichen Diskussion wird heute die Digitalisierung als der alles entscheidende Megatrend gesehen, der die Unternehmensentwicklung, die Technologie und unser Leben steuert.
Natürlich ist die Digitalisierung ein entscheidender Faktor und hauptsächlich verantwortlich für das hohe Veränderungstempo und die Disruption ganzer Branchen, wie z.B. des Taxigewerbes (Uber), der Hotellerie (Airbnb), der Medien (Facebook), der Filmindustrie (Netflix) und der Musikdistribution (Spotify etc.): Plattformen, die erst durch die Digitalisierung möglich wurden. Es ist aber nicht nur die Digitalisierung, die die Unternehmensentwicklung bestimmt. Von grossem Einfluss sind auch retardierende Trends wie die Globalisierung, die angesichts des zunehmenden Protektionismus einen Gewinneinbruch bei den Multinationals von 25 Prozent in nur fünf Jahren aufweist und den niedrigsten ROI in zwei Dekaden. Oder die zunehmende Risikoaversion der Unternehmer und Selbstständigen, die zu 30 Prozent weniger Start-ups seit der Jahrtausendwende geführt hat. Oder die stark rückläufige Loyalität gegenüber Marken, also die Stammkundeneinbussen von durchschnittlich einem Drittel pro Herstellermarke im Jahr.
Aus 21 Megatrends werden mehr als 100 Folgetrends
Der erste Schritt, die vielen Megatrends für die Markenführung zu qualifizieren und zu bewerten, ist die Feststellung, wie sie sich auf Zielgruppen, auf Märkte, auf Medien, auf Messages und auf Touchpoints auswirken. Dabei entstehen rein rechnerisch schon über 100 Folgetrends.
Der falsche und der richtige Weg
Falsch ist, auf mehr Transparenz und bessere Zeiten zu warten. Falsch ist auch, nur noch in Quartalszeiträumen zu denken, auf Einzelmassnahmen zu setzen und Investitionsentscheidungen zurückzustellen.
Richtig ist, ein neues, praktikables, ganzheitliches Navigationsmodell zu entwickeln, das zielorientiert durch den Trend-Dschungel führt und alle an der Markenführung beteiligten Arbeitsgruppen zusammenfasst.
Trendnavigation: der Weg durch den Dschungel
Erster Schritt.
GfK Schweiz hat für Fast Moving Consumer Goods und für den Technologiemarkt Konsumtrends ermittelt. Auch für fast alle weiteren Branchen können Konsumtrends über das Institut beschafft werden.
Zweiter Schritt.
Ermittlung der Trenddimensionen. Die Relevanz eines Trends bestimmt sich wesentlich danach, inwieweit die Werte und Bedürfnislage mit einem Konsumtrend übereinstimmen. GfK hat vor zwei Jahren in einer repräsentativen Untersuchung bei 7.000 Konsumenten festgestellt, dass es insgesamt vier Gruppen (mit insgesamt 21 Facetten) mit emotionalen Markenwerten gibt, die für die Kaufentscheidung von Bedeutung sind: Selbstinszenierung, Lebensfreude, Geborgenheit und Verantwortung.
Dritter Schritt.
Feststellung der Entwicklungsphase für jeden einzelnen Konsumtrend, was eine Einschätzung der weiteren Entwicklung erlaubt.
Vierter Schritt.
Aber nicht jeder Trend ist auch ein Trend für jede Marke. Entscheidend kommt es auf den sog. Trend-Fit zwischen Marken und Trend an. Aus dem folgenden Chart erhält man eine Antwort auf die Frage, inwiefern ein Trend inhaltliche Relevanz hat bzw. aus Sicht der Konsumenten stimmig für sein Unternehmen ist (Abgleich Trends mit Marken). So hat im Bereich Superfood Manor einen besseren Ausgangspunkt als Denner.
Fünfter Schritt.
Definition der Trendzielgruppen. Wir unterscheiden bei der medialen Ansprache von Trendzielgruppen nach Trenddrivern (Trendsetter und Supporter), Trendfollowern und Trendresistors. Trenddriver und insbesondere die Trendsetter sind tendenziell jüngere Singles und „DINKS“ (Double Income no Kids) und in höherem Masse premiumorientiert. Marken, die bei Trenddrivern überdurchschnitt gut positioniert sind, gewinnen gemäss Studien aus Deutschland nachweislich Marktanteile. Marken, die hauptsächlich Trendresistors ansprechen, verlieren.
Die drei Trendtypen verteilen sich auf folgende Anteile: 63% Trenddriver (davon 11% Trendsetter und 52% Supporter), 29% Follower und 8% Trendresistors. Diese unterscheiden sich nicht nur bzgl. Alter, sondern auch bei den emotionalen Wertedimensionen, die für Positionierung und Kommunikation entscheidend sind. So ist für Trendsetter die Unabhängigkeit mitunter ein zentraler Wert, während bei den Resistors die Familie klar an erster Stelle steht. Ein spezielles Augenmerk gilt zudem der Generation der Millennials (Jahrgänge 1982-1996), welche als Digital Natives einen noch offeneren und flexibleren Umgang mit Trends haben und einen wesentlichen Anteil der Trendsetter ausmachen.
Die drei Trendtypen haben eine sehr unterschiedliche Mediennutzung. Vor allem Onlinemedien werden von Trenddrivern deutlich mehr genutzt.
Sehr grosse Unterschiede ergeben sich für die drei Trendtypen, wenn man bei der Mediaplanung die Medienumfelder mit ihren stark differenzierenden Umfeldern und deren emotionalen Werte-Fit mit der jeweiligen Marke berücksichtigt. Die Werbewirkungsvorteile bei einer auch auf Umfeldplanung und nicht nur auf klassischen, quantitativen Daten beruhenden Mediaplanung beträgt bis zu 50 Prozent. Wir haben in einer aktuellen Studie 250 TV-Umfelder nach ihren emotionalen Werten untersucht und können diesen Trenddrivern, Trendfollowern und Trendresistors zuordnen.
Die Methode, um die verschiedenen Trendtypen auch in den Medien tatsächlich zu erreichen, ist wie bei der Käuferplanung wieder die sog. Datenfusion: Man ermittelt über Paneldaten Trenddriver und Trendfollower, definiert sie nach ca. 20 Kriterien und überträgt diese Kriterien dann z. B. im TV-Bereich auf das AGF-Panel von GfK Deutschland.
Der entscheidende Unterschied einer Markenführung, die auf Trendzielgruppen setzt, ist, dass sie im Unterschied zur traditionellen, statischen Zielgruppenansprache dynamisch wird, also sich den verschiedenen Phasen der Trendentwicklung laufend anpasst. Sie setzt in der Entstehungsphase eines Trends auf Trenddriver und erst in einer zweiten Phase auf Trendfollower. Das stellt ganz neue Herausforderungen an Mediaplanung, Content und kreative Umsetzung.
Die traditionelle Mediaplanung geht von demografischen Zielgruppen aus, z. B. vom Alter. Da die meisten Wettbewerber ebenso vorgehen, kommt man zu gleichen Mediaplänen und trifft sich in den gleichen Medienumfeldern. Moderne Mediaplanung setzt auf markenspezifische Trendtypen, die sie je nach Entwicklungsphase des Trends differenziert und im Zeitablauf dynamisiert. Sie trägt dadurch entscheidend zum Wachstum bei. Berücksichtigt sie dazu auch den Werte-Fit zwischen Medienumfeld und Marke, steigert sie ihre Werbewirkung im zweistelligen Bereich.
Sechster Schritt
In den kritischen Diskussionen der letzten zwei Jahre über angeblich mangelnde Transparenz der Mediaplanung ist die qualitative Seite, also die Kreation, etwas in den Hintergrund geraten.
Laut GfK Crossmedia Link ist die Kreation mit einem Wirkbeitrag von 40 Prozent aber nach wie vor der stärkste Treiber von Kampagnenerfolgen.
Allerdings muss sich auch die Entwicklung von kreativen Ansätzen verändern, wenn man mit seiner Kampagne auf Wachstumstrends setzen will.
Programmatic Creativity besagt, dass man, bevor man eine kreative Kampagne entwickelt und in die Ideenfindung einsteigt, sich erst mal auf die Kreativstrategie einigen muss. Wir konzentrieren uns in der Marken Roadshow 2017 auf sechs verschiedene Ansätze.
Sechs Varianten der Programmatic Creativity:
- Zeitversetzte kreative Ansprache: erst Trenddriver, dann Trendfollower
- Zentrale Kreatividee, variiert auf Zielgruppensegmente
- Neue Kommunikationstechniken für Trenddriver
- Location based Creativity
- Kreation zur Erhöhung des Impacts
- Einzelansprache eines Millionenpublikums
Siebter Schritt
Angesichts des immer noch zunehmenden Veränderungstempos werden in der öffentlichen Diskussion zwei Forderungen erhoben:
- Integration von Media und Kreation in einer Hand
- Endlich ganzheitliche Transparenz über Werbeinvestitionen
Frage: Ist unsere hochspezialisierte, kleinteilige Struktur der Kommunikationsdienstleister dazu in der Lage? Hier setzt Programmatic Planning an.
Die traditionelle Mediaplanung wendet sich an eine weit gefasste Zielgruppe, in der Regel eine soziodemografische Beschreibung, z. B. eine Altersklasse. Programmatic Planning dagegen erfasst die individuelle Zielperson, also z. B. den einzelnen Trenddriver. Und zwar medial und kreativ. Und das in Echtzeit. Die Methode: Klassische Zielgruppenbeschreibungen werden in digital aussteuerbare, datenbasierte Zielpersonen übersetzt, die Zielgruppenbeschreibung von markenspezifischen Trenddrivern werden z. B. in planbare Datensegmente transferiert. Dazu braucht man erfahrene Experten und u.a. DMP (Data-Management-Plattform), die nicht nur für Online und Mobile eingesetzt wird (so wie bisher), sondern künftig – so der Vorausblick – möglichst alle Mediakanäle adressiert.
Wirklichen Erfolg hat Programmatic Planning vor allem dann, wenn sie mit datenbasierter Kreation kombiniert wird: Aus einzeln beschriebenen Zielpersonen, z. B. für eine Automarke, wird dann eine planbare Typologie, die klare Ansätze für die Kreativstrategie liefert.
Programmatic Planning von gestern fand nur im Medium Online statt. Programmatic Planning von morgen ist:
- Auf allen Kanälen in Echtzeit möglich
- Berücksichtigt unterschiedliche Einkaufskonditionen
- Integriert Media und Kreation
- Führt nicht zu gleichen Plänen für alle, sondern zu einem markenindividuellen Mediaplan
Aber Achtung: Wir stehen in der Schweiz hierzu noch am Anfang. Mediaschneider arbeitet mit der Hoy AG bereits heute weit überdurchschnittlich mit Programmatic Buying and Planning bei digitalen Kampagnen.
Achter Schritt
Der PoS ist überall da, wo die Kaufentscheidung entsteht. Dazu müssen alle Touchpoints und ihre anteilige Bedeutung branchen- und markenspezifisch analysiert werden und nach Trenddrivern und Trendfollowern differenziert werden.
- Die erste Stufe ist eine Gewichtung der relevanten Touchpoints, quantitativ nach Umsatzbedeutung und qualitativ nach Werten.
- Die zweite Stufe sind Geomarketing-Daten: Alle Marken, auch grosse, national distribuierte, haben eine regionale und lokal meist sehr unterschiedliche Verteilung ihrer Marktanteile und ihrer Käufer. Daten dazu liegen über die grossen Marken vor und können für die Wohnsitze der Zielgruppen bis zu ihren Strassenzügen in allen Städten dargestellt werden, z. B. Wohnorte der potenziellen Käufer einer bestimmten Automarke. Eine umfassende Standortbewertung aller Out-of-Home-Medien zeigt, wie die ausgewählten lokalen Touchpoints am effizientesten erreicht werden.
- Für neue digitale Techniken am PoS liegen meist nur wenige Erfahrungswerte vor. Sie müssen konkret in einer Retail-Umgebung überprüft werden. In Deutschland gibt es hierfür erste Cases, z.B. in Berlin: so können jetzt in einem speziell dafür eingerichteten Testmarkt „The Retail HUB“ in der Berliner BIKINI Mall überprüft werden, in den Schritten: Konzeptentwicklung, Life Testing auf der Fläche und Konzeptüberarbeitung. In der Schweiz gibt es hierfür noch keine Life Umgebung – allerdings werden wir dies gerne mit unseren Kunden mitentwickeln, unterstützen und monitoren. Ihr Interesse vorausgesetzt.
Resümee:
Voraussetzung für die praktische Umsetzung des achtstufigen Navigationsprogrammes sind innovative, disziplinübergreifende Methoden der Markenführung, aber auch eine überfällige Strukturanpassung der Kommunikationsdienstleister an die veränderten Umstände.