Shitstorm

Ausgangslage

Als erstes gilt es zu sagen: Ja, es gibt sie wirklich. Shitstorms sind kein Mythos. Es kann jede Firma treffen, selbst wenn sie nichts falsch gemacht hat. Das zeigt das Beispiel der deutschen Supermarktkette Kaufland, die sich zur Corona-Zeit plötzlich mit dem Wendler Gate konfrontiert sah. Kaufland selbst hatte zu keiner Zeit ein fragwürdiges Statement gegenüber den verordneten Corona-Massnahmen geäussert. Dennoch wurde die Haltung ihres Testimonials von den Kunden auf Kaufland antizipiert. Die Supermarktkette hatte in der Folge mit Anfeindungen und Umsatzeinbussen zu kämpfen, und das obwohl sie die Partnerschaft mit Michael Wendler umgehend gekündigt und sich von seinen Statements klar distanziert hatten. Umso wichtiger ist es, dass wir verstehen, wie Shitstorms entstehen und wie wir ihnen allenfalls entgegenwirken können.

Negative Kommentare gibt es immer in den Sozialen Medien. Ganz vermeiden lassen sich diese nicht. Aber solange die positiven Reaktionen überwiegen und die negativen nur ein unterschwelliges Grundrauschen darstellen, haben wir kein Problem. Gefährlich wird es dann, wenn dieses Rauschen plötzlich zunimmt. In der Regel gibt es einen fixen Eskalationspunkt, an dem sich der Sturm zusammenbraut. Dieser Punkt kann entweder durch ein Ereignis gesetzt werden, wie beispielsweise ein Statement eines Testimonials, oder er kann sich langsam ankünden durch einen stetig steigenden Buzz an negativen Kommentaren, bis schliesslich der Punkt erreicht ist, an dem «das Fass überläuft».

Um die Eskalation verhindern zu können, müssen wir uns vor diesem Punkt in die Diskussion einbringen. Im ersten Fall, also bei einem bestimmten Ereignis, ist dies kaum möglich, da diese Ereignisse in der Regel nicht vorherzusagen sind. Im zweiten Fall des ansteigenden Buzz haben wir aber sehr wohl die Möglichkeit, die drohende Gefahr frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig einzugreifen.

Auslöser eines Shitstorms

Um einen Shitstorm verhindern zu können, müssen wir als erstes verstehen, welche Ereignisse diesen überhaupt auslösen können. Grundsätzlich können wir die möglichen Auslöser in vier Kategorien einteilen:

  1. Markenstärke
  2. Ansteckung
  3. Fehler
  4. Seeding

Die Markenstärke errechnet sich aus der Präsenz einer Marke multipliziert mit deren Nutzung. Je höher das Ansehen eines Brands ist, umso eher werden Aktivisten auf den Plan gerufen, welche die Firma durchleuchten, um «das Haar in der Suppe» – also das Abholzen des Regenwalds oder die Kinderarbeit in China – zu finden. Wer also sein Geschäft mit bestem Wissen und Gewissen nach hohen moralischen und ethischen Standards betreibt, hat hier schon mal einen guten Grundstein gelegt, um sich weniger angreifbar zu machen.

Bei der Ansteckung reden wir davon, dass ein Brand von einem Shitstorm eines anderen Brands infiziert wird. Dies kann passieren, wenn Marken durch gewisse Komponenten miteinander verbunden sind, wie beispielsweise durch die gleichen Kunden, Lieferanten oder Partner, oder durch ähnliche Kooperationen oder Ratgeber, um nur ein paar Möglichkeiten zu nennen. Die Liste lässt sich beliebig weiterführen.

Für Fehler ist die Schuld in der Regel bei der Firma selbst zu suchen. In diesem Fall wurden die Erwartungen der Kunden an die Dienstleistungen oder an das Produkt nicht erfüllt, weil im Vorfeld beispielsweise falsche Werbeversprechen gemacht wurden.
Ebenso kann ein Fehler auf der Seite der Firma passieren, wenn ihr Verhalten als ein Werteverstoss wahrgenommen wird. Ein Beispiel hierfür ist die Tesla Gigafactory in Deutschland, welche für den Bau eine grosse Waldfläche hat roden lassen.

Beim Seeding ist der Ursprung auf eine einzelne oder maximal eine Handvoll Personen zurückzuführen, welche mit der initialen Wortmeldung über einen wahrgenommenen Fehler die Saat zum Keimen bringen. Eine Person oder eine Personengruppe, welche einem Brand mit Seeding schaden kann, verfügt in der Regel über eines oder mehrere der folgenden Merkmale:

  • Hat eine hohe Reichweite
  • Ist sehr aktiv auf Social Media
  • Hat eine angesehene Expertise auf dem Thema

In der Regel reicht schon eines dieser Merkmale, um erfolgreich einen Shitstorm auszulösen. Es ist daher sehr empfehlenswert, die negativen Wortmeldungen beim Community Management nicht zu ignorieren, sondern zu versuchen, deren Probleme zu lösen.

Shitstormer vs. Trolle

Oft ist die Rede davon, dass Personen, welche negative Kommentare hinterlassen, alles nur Trolle sind, und dass man diese einfach nur ignorieren soll, dann geben sie schon irgendwann Ruhe. Das ist jedoch ein sehr gefährlicher Rat, der direkt und mit Vollgas in den Shitstorm führen kann. Denn es ist wichtig zu unterscheiden zwischen dem Shitstormer, der ein echtes Anliegen/Problem hat. Er steht emotional hinter seinem Anliegen und vertritt dieses daher mit Leidenschaft. Dieser Mensch will von der Marke gehört werden und möchte, dass sein Anliegen ernst genommen und wenn möglich das Problem behoben wird. Mit einer zufriedenstellenden Lösung kann ein Shitstormer wieder zu einem glücklichen Kunden und allenfalls sogar zu einem überzeugten Markenbotschafter gemacht werden.

Hier ein Beispiel aus meiner eigenen ganz persönlichen Erfahrung dazu:
Ich habe vor rund zwei Jahren einen Dyson Air Wrap erstanden. Nach weniger als einem Jahr ist einer der Bürstenaufsätze kaputt gegangen, was mich bei einem so teuren Gerät doch sehr geärgert hat. Da ich nach weniger als einem Jahr auf jeden Fall noch Garantie hatte, habe ich mich über Social Media an den Kundendienst von Dyson gewandt, wo ich kurz drei Fragen zum Gerät beantworten musste, und sofort wurde mir per A-Post eine kostenlose Ersatzbürste zugestellt. Seither habe ich schon oft erzählt, wie begeistert ich von dieser schnellen und unkomplizierten Lösung war. Ich würde jederzeit wieder ein Dyson-Gerät kaufen, auch wenn diese teurer sind als vergleichbare Geräte anderer Marken. So wurde ich vom Kunden mit einem Problem zum Markenbotschafter. Hätte der Kundendienst mich ignoriert oder versucht abzuwimmeln, wäre das mit Sicherheit ganz anders gekommen.

Im Gegensatz dazu stehen die Trolle. Das sind Personen, welche kein Problem mit dem Brand haben. Eventuell haben sie noch gar nie ein Produkt des Brands besessen oder genutzt. Der Troll stänkert einfach nur rum, weil es ihm Spass macht. Eine Lösung ist ihm daher auch herzlich egal.
Einem Troll kann also effektiv nicht geholfen werden. Heisst das nun, dass wir ihn einfach ignorieren sollen? Nein, auf keinen Fall! Auch wenn wir hier die Antwort nicht für den Troll geben, sondern für die Community, welche im öffentlichen Feed mitliest und uns anhand unseres Auftretens beurteilt. Die Antwort sollte daher immer höflich, hilfsbereit und vor allem im öffentlichen Bereich der Social Media Plattform stattfinden. So zeigen wir, dass wir uns kümmern und dass unsere Kunden uns wichtig sind. Wenn der Troll dann weiter trollt und wir eine starke Community haben, wird diese ihn irgendwann zum Schweigen bringen.

Keine Präsenz = kein Shitstorm ?

Manch einer könnte nun auf die Idee kommen, dass es eine sinnvolle Vermeidungsstrategie ist, einfach gar keine Präsenz auf Social Media zu zeigen. So kann ja auch keiner einen negativen Kommentar schreiben. Klingt sinnvoll? Leider nein.

Ohne eigene Social Media Präsenz ist man dem Shitstorm hilflos ausgeliefert.

Die User reden über einen Brand auf Social Media, egal ob dieser auf der Plattform durch eine eigene Präsenz vertreten ist oder nicht. Und wenn sich genügend User zusammentun und Negatives über einen Brand berichten, wird der Shitstorm ausbrechen, egal ob der betroffene Brand auf der Plattform durch eine eigene Präsenz vertreten ist oder nicht. Ohne eigene Präsenz ist ein Brand also einem drohenden Shitstorm hilflos ausgeliefert und hat keine Möglichkeit, sich selbst an der Diskussion zu beteiligen. Es können keine Fakten richtig gestellt werden und auch keine Lösungsvorschläge angeboten werden. Eine fehlende Social Media Präsenz ist also eher ein Risikofaktor, der mit verantwortlich dafür sein kann, dass ein Shitstorm schlussendlich ausbricht.

«Jede Presse ist gute Presse»

Den Spruch hat bestimmt jeder von uns schon mal gehört. Auch hier ist die Antwort: Leider nein.
Eine Unternehmung wird von einem echten Shitstorm immer einen erheblichen Schaden davontragen, welcher noch mehrere Jahre nachhallen kann. Und wir reden hier nicht «nur» vom Image-Schaden. Eine Firma trägt von einem solchen Ereignis sowohl finanzielle als auch strategische Schäden und nicht zuletzt auch Schäden im Marketing davon. Kurzfristig können die Gewinne wie auch der Aktienkurs einer Unternehmung einbrechen. Diese erholen sich nach dem Abklingen des Shitstorms oft relativ bald wieder. Was jedoch länger bleibt, sind die Schäden an Strategie und Marketing. Die Wettbewerbsfähigkeit einer Firma wird in Mitleidenschaft gezogen, weil die Kunden plötzlich preissensibler werden den Produkten des geschädigten Brands gegenüber. Und sie sind empfänglicher für Werbung von Konkurrenten. Entsprechend steigt der Absatz der Konkurrenz und der eigene Marketing-Mix verliert langfristig an Werbewirkung.

Die deutsche Kommunikationsagentur, Territory, hat in einer Studie Daten aus über 40 Shitstorms gesammelt und analysiert und konnte dabei keine einzige Unternehmung finden, welche keinen Schaden aus dem Ereignis gezogen hat. Es wurden jedoch langfristige Umsatzeinbrüche von bis zu 30% festgestellt. VW beispielsweise brauchte nach dem Abgasskandal ganze zwei Jahre, bis sich der Aktienkurs wieder erholt hatte.

Wie verhindert man einen Shitstorm?

Jede Firma sollte sich also die eine Frage stellen. Wie verhindere ich einen Shitstorm?

Zugegeben, in manchen Fällen, wie bei unserem Einstiegsbeispiel, ist man machtlos. Hier kann das Ereignis nicht verhindert werden. Trotzdem ist es aber auch dann noch möglich, wenigstens den Schaden mit den richtigen Massnahmen einzudämmen. Bei der Verhinderung eines Shitstorms oder der Schadensbegrenzung können uns eine starke Community, ein gutes Monitoring der sozialen Plattformen und eine offene und ehrliche Kommunikation, die schnell erfolgt, helfen.

Eine starke Community ist nichts, was man sich einfach kaufen kann. Es erfordert viel Arbeit und ein gutes Community Management, um eine starke Community aufzubauen. Man muss den Usern zuhören und den Followern/Fans einen Mehrwert bieten. Sowohl die positiven als auch die negativen Kommentare müssen zeitnah beantwortet werden. Es wäre fatal, nur auf eine der beiden Seiten zu reagieren. Was passiert, wenn Leute ignoriert werden, die ein Problem haben, haben wir weiter oben schon geklärt. Wer jedoch nur auf negative Kommentare antwortet und alle positiven Meldungen ignoriert, wird nie eine starke Community aufbauen können. Denn so zeigt man den Usern, dass ihr positives Engagement einem eigentlich vollkommen egal ist. Wenn die Firma dann irgendwann ein Problem hat, braucht sie sich nicht zu wundern, wenn dann im Gegenzug die User sagen: «Ist mir jetzt auch egal. Wieso sollte ich jemandem helfen, der mich nicht wertgeschätzt hat?»

Ein Monitoring des sogenannten Buzz auf den Social Media Plattformen kann man mit Social Listening Tools bewerkstelligen. Das sind kostenpflichtige Tools, mit welchen man alle Posts zu gewissen Schlagworten suchen und sammeln lassen kann. So kann man oft schon früh erkennen, dass sich ein Problem am Zusammenbrauen ist, wenn sich die negativen Kommentare plötzlich häufen. Dadurch ist es möglich, noch vor dem Eskalationspunkt einzugreifen und das Ruder rechtzeitig zu drehen.

Eine offene und ehrliche Kommunikation ist zu jeder Zeit von grösster Wichtigkeit. Egal ob wir uns noch vor dem Eskalationspunkt befinden oder ob dieser schon überschritten ist. Eine Firma, die kritikoffen ist, kann den Buzz bis zu 200% reduzieren (!) und das Sentiment zu den eigenen Gunsten drehen. Auch für den Aufbau einer starken Community ist diese Art von Kommunikation unumgänglich.

Es ist keine Schwäche, sich zu entschuldigen, wenn ein Fehler passiert ist, ganz im Gegenteil. Man sollte versuchen, zusammen mit den Betroffenen eine Lösung zu erarbeiten und Wiedergutmachungen anzubieten.

Was hingegen nie eine gute Strategie ist, ist, Probleme zu ignorieren oder gar zu leugnen, der Verantwortung auszuweichen oder Probleme der Betroffenen herunterzuspielen. Das sind Fehler, die eine Firma unter Umständen sehr teuer bezahlen wird.

Social Media ist eine kurzlebige Welt. User erwarten in diesem Umfeld eine schnelle Antwort auf ihr Anliegen. In der Regel sollte der User innert weniger Stunden eine Reaktion erhalten haben. Das heisst nicht, dass dann schon die Lösung parat liegen muss. An dieser kann durchaus noch etwas länger gearbeitet werden, wenn es keine schnelle Lösung gibt. Aber innert weniger Stunden muss der User wissen, dass man sich um sein Problem kümmert und dass er mit seinem Anliegen ernst genommen wird.

Fazit

Shitstorms sind echt und die Auslöser dafür können vielfältig sein. Manchmal trifft einem der Sturm aus heiterem Himmel und man kann höchstens noch versuchen, durch einen offenen und ehrlichen Umgang mit den Betroffenen den Schaden für das Unternehmen zu mindern. Es gibt aber auch Shitstorms, die sich im Voraus erahnen und so noch abwenden lassen. Eine starke Community, ein gutes Monitoring und kurze Kommunikationswege sind dafür unerlässliche Werkzeuge, welche man frühzeitig aufbauen sollte. Es sind Investitionen, welche sich lohnen. Denn ein Shitstorm ist nie etwas Gutes und immer mit erheblichen Schäden für die Unternehmung verbunden.

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